Buch Probe

Der Zufall, der nicht zufällig war, wollte, dass Sarena in das Leben von Eros eintrat.

Als er ihr zum ersten Mal begegnete, bemerkte er sie gar nicht. Vielleicht deswegen, weil er schon wieder zu sehr in Gedanken versunken war, um die Menschen um sich herum wahrzunehmen, oder wohl deswegen, weil sie so viel Schminke trug, dass er nur eine Kulisse vor sich sah. Vielleicht lag der Grund auch darin, dass er einmal Augen gesehen hatte im Traum, dunkel wie eine geheimnisvolle Nacht und zugleich glänzend wie der Sternenhimmel, in die er sich einst verlieben sollte.

Als Eros zum ersten Mal mit ihr sprach, zog ihn die Aufrichtigkeit ihrer Worte an. Als er in ihre blauen Augen sah, erblickte er in ihnen einen Ozean der Trauer. Eine abgelehnte Welt, die ihm von irgendwoher bekannt vorkam. Für einen Augenblick schien ihm sogar, er habe tagtäglich in diese Welt geblickt.

Er lud sie zu einem Treffen ein, noch an demselben Abend, und erlebte dabei etwas Seltsames. Vor seinen Augen verschwanden zunächst die kleinen Pickel, danach zwei Muttermale und anschließend noch alle anderen Unregelmäßigkeiten von Sarenas Gesicht. Ihre Zähne wurden schneeweiß und die Lippen wölbten sich wie die ersten Kirschen in Nachbars Garten. Sarena veränderte sich von Augenblick zu Augenblick so, als hätte ein unsichtbarer Schleier mit einem Engelsbild sie langsam eingehüllt. Ihr helles Haar gewann an Seidenglanz und ihr Körper bekam die Figur einer Waldfee. Vor Eros Augen verwandelte sie sich an diesem Abend in das vollkommenste Wesen der Welt.

Mit einem Lächeln auf dem Antlitz schlief er ein.

Eros wusste, dass die größten Kunstwerke der Welt die Liebe darstellen, beschreiben oder beklagen. Er las viel von Helden, denen die Liebe zum Verhängnis geworden war,

und sah herrliche Denkmäler, die Leute dem Gedächtnis ihrer Geliebten errichtet hatten. Er hörte, dass um der Liebe willen grausame Kriege geführt worden waren, durch die sogar mächtigste Reiche zugrunde gerichtet werden konnten.

So viel Mühe und Leid im Namen der Liebe hielt Eros bis zu diesem Zeitpunkt für starke Übertreibung … bloßen Unsinn von Schwächlingen und romantischen Künstlern, die ihm schon seit jeher Sonderlinge zu sein schienen. Und nun, als hätte er die Bodenhaftung verloren, wusste er nicht mehr von sich selbst noch von der Welt um sich herum. Plötzlich sprach er in Reimen, er malte und dichtete und lebte nur für die paar Augenblicke, die er mit ihr zusammen verbringen durfte. Hätte er die ihm bisher bekannten Glücksgefühle auf einer Skala von eins bis zehn geordnet, dann hätte der Zeiger nun auf hundert gestanden.

Das Gleiche fühlte auch Sarena … jedoch nicht Eros gegenüber … In ihrem Herzen trug sie nach wie vor ihre erste Liebe. Zerbrochen und enttäuscht suchte sie nach Trost, und obwohl sie sich ungeheuer bemühte, die Vergangenheit aus ihrem Gedächtnis zu verdrängen, war diese doch weiterhin da.

Eros entsprach genau dem, was sich Sarena als vollkommene Welt vorstellte, aber ihm gegenüber fühlte sie trotzdem gar nichts. Sie konnte das selbst nicht fassen, und weil ihr Verstand anders sprach als ihr Herz, weinte sie oft. Sie war jedoch sehr offenherzig … sie vertraute Eros die Wahrheit über ihre Gefühle an und erzählte ihm von ihrem Leid. Aber Eros wollte aus seinen Träumen nicht geweckt werden.

Er war bemüht, sich ihr zu nähern, entfernte sich jedoch mit jedem Schritt nur weiter von ihr. In seine Gedanken schlich sich allmählich das Gefühl ein, er sei nicht gut genug für sie. Aber das wollte er sich nicht eingestehen und kämpfte ebenso, wie er einst um die Zuneigung seines Bruders gekämpft hatte.

Er konnte nicht begreifen, dass er umso langweiliger wurde, je mehr er sich anstrengte, unterhaltsam zu sein. Je mehr Sport er trieb, um seinen Körper in Form zu bringen, desto schwammiger wurde er, und je mehr er versuchte, durch Zurschaustellung von Vermögen und Macht seiner Familie zu glänzen, desto ärmer und machtloser war er.

Als ob das alles nicht genug gewesen wäre, begann er vornehme Kleidung zu tragen, aber er sah darin noch elender aus. Er übergoss sich mit Duftwässern, aber er stank nur noch mehr, und bei alledem war am merkwürdigsten, dass sein Penis umso mehr schrumpfte, je mehr er sich bemühte, ein großer Liebhaber zu sein. Jede Nacht wurde er kleiner und kleiner, bis er endlich fast verschwand.

Eros verwandelte sich allmählich, aber unaufhaltsam in ein bedauernswürdiges Wrack. Seine Schultern senkten sich, die Augen erloschen und sogar die Zähne wurden gelblich und krumm. Bald begann er unter Luftmangel zu leiden und die Ärzte stellten Kurzatmigkeit fest.

Von seiner Göttlichkeit blieb nur noch der Wille übrig.

Sieben Monate war Eros davon überzeugt, er hätte die Liebe seines Lebens gefunden. Sieben Monate schenkte er seinen eigenen Lügen Glauben.

Eines Tages trat Sarena vor Eros hin und schaute in seine dunklen traurigen Augen, in denen immer noch Hoffnung glomm.

»Gestern habe ich ihn schon wieder getroffen … Ich habe den Blick nicht von ihm wenden können. Ich habe gedacht, ich wäre stärker, aber er hat mich geküsst, und ich bin in Tränen ausgebrochen …«

Eros begann nun der Kopf zu schwindeln.

»… dann haben wir Liebe gemacht, und ich fühlte im Innersten so wie einst.«

Eros überlief es wie ein Fieberschauer und die Tränen, die ihm die Wangen hinunterrannen, vereinten sich mit Schweißtropfen. Er versuchte sich zu fassen, aber er konnte weder das Kinn noch die Lippen noch die Zunge rühren, um irgendetwas zu sagen.

»Ich wollte dich nicht verletzen. Aber du verdienst doch keine Lügen.«

Eros blickte Sarena in die Augen und begann, mit einer seltsam ruhigen Stimme zu sprechen, als spräche nicht er, sondern ein anderer in seinem Namen.

»Kehre zu ihm zurück … Du liebst ihn noch immer, und es ist mir lieber, du bist mit ihm glücklich als unglücklich mit mir.«

In seinen Worten war so viel Edelmut und in seinem Herzen so viel Trauer, dass sogar der Stein am Weg in diesem Augenblick Mitleid mit ihm gehabt hätte. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben.

»Und du?« fragte Sarena nach langem Schweigen.

»Mach dir keine Sorgen um mich, ich finde schon einen Ausweg. Alles, was ich empfinde, ist nur Dankbarkeit für diese unvergessliche Erfahrung«, brachte er aus der innersten Tiefe seiner Trauer hervor.

Sie verabschiedeten sich und die Tränen durchbrachen den Damm seines Willens.

 

***

 

Eros stand vor dem Spiegel und betrachtete das Häufchen Elend. Alles in seinem Leben verlor seine Bedeutung, und er konnte in keiner Sache mehr einen Sinn erkennen. In einem Augenblick hatte er alles, im nächsten schon nichts mehr.

Er nahm das Rasiermesser zur Hand. Er strich es am Lederriemen scharf und hob es gegen den Kopf.

Dunkle schwarze Haare fielen büschelweise zu Boden, bis der Kopf glatt rasiert war.

Daraufhin trat er zur Haustür, machte sie weit auf und trat zum ersten Mal in seinem Leben durch sie wirklich hinaus. Er schaute in die Nacht, atmete tief ein und ging durch den Hof.

Das Knirschen des weißen Sandes rief eine schwarze Gestalt aus dem Dunkel hervor, die ihn zum Ausgang begleitete. Er streichelte das letzte Mal den geliebten Hund, öffnete das schmiedeeiserne Hoftor und brach ins Unbekannte auf.

Er lief kraftvoll … so schnell ihn seine Beine tragen konnten. Er wusste nicht, wo sein Weg ihn hinführte, er wusste nur, dass er weit weg musste.

Als er seine Müdigkeit abgeworfen hatte, lief er noch schneller. Mit langen Schritten stieß er sich vom Boden ab und schwenkte die Arme im Takt. Sein Herz schlug wild in der Brust, um das Blut mit Sauerstoff und den Körper mit Kraft zu versorgen. Er riss das Hemd vom Leib und atmete so tief ein, dass die kalte Luft ihn wie eine Klinge aus Damaszener Stahl in die Lunge schnitt.

Das gab neue Kraft und das Laufen wurde ihm immer leichter.

Die Mutter erwachte. Wie von einer bösen Ahnung befallen, erhob sie sich aus dem Bett und öffnete die Tür des Schlafzimmers. Sie sah die sperrangelweit offene Haustür.

Sie lief durch den Gang und ihr Schrei weckte alle im Haus aus dem Schlaf.

»Eros!«, rief sie mit einer Stimme, der nur schwer zu entnehmen war, ob sie mehr von Angst oder von Grauen erfüllt war.

Alle wachten augenblicklich auf und der Hund starrte traurig durch die Tür.

»Ares, gehe deinem Bruder nach!«, wandte die Mutter sich flehend an den erstgeborenen Sohn.

Ares legte seine polierte Rüstung wortlos an, sattelte den großen Rappen und schwang sich trotz der schweren Rüstung mühelos auf das Pferd. Er fasste die Zügel, die mit goldenen Sternen mit dem kaum sichtbar eingravierten Buchstaben I geschmückt waren, und ritt ins Dunkel davon.

Eros lief, und anstatt zu schwinden, wuchsen seine Kräfte mit jedem Schritt. Die Sohlen brannten, als ginge er auf Scherben, aber er machte nicht halt. Er zog seine Schuhe aus, und der Schmerz verschwand.

Er lief barfuß weiter, noch schneller als vorher.

Dann löste er die kostbare Armbanduhr vom Handgelenk und warf sie weg, wartete, bis das glänzende Metall im Sumpf versunken war, und ein wenig später folgte der goldene Anhänger mit der Kette.

Er lief wie ein Rehbock auf der Flucht vor Raubtieren.

Anschließend schnallte er den Gürtel auf und zog die Hose aus. Seine Bewegungen wurden leicht wie der Wind, der durch die vom Schnee geweißte Landschaft weht. Er lief völlig nackt, und seine Gedanken waren rein wie an dem Tag seiner Geburt.

Am siebten Tag hielt Eros in der Finsternis auf einer Waldlichtung an. Er brach auf der Erde zusammen und schlief ein.

Der Mond schien durch die Baumkronen und die Äste neigten sich neugierig über den nackten Körper inmitten der Lichtung. Es fing an zu regnen.

Große warme Tropfen fielen vom Himmel und wuschen Staub und Schmutz von seinem Leib sanft ab. Es regnete lange, und als es aufhörte, hob sich der Nebel vom Laub.

Eros lag regungslos auf dem Erdboden. Plötzlich spürte er etwas Warmes auf seinen Augenlidern, als würden ihm seine müden Augen von jemand mit Kamille ausgewaschen. Er wachte auf und sah eine große Schnauze und zwei ihn regungslos anstarrende verwunderte Augen vor sich.

Noch bevor er wirklich zu sich kam, leckte die feuchte Zunge ihm das Gesicht wieder ab.

Eros stemmte sich mit den Händen vom Boden hoch und stützte die Ellenbogen auf die Knie. Ihm gegenüber saß ein streunender Hund. Er neigte seinen haarigen Kopf und zuckte kaum sichtbar mit dem Ohr.

»Du hast eine ganze Woche lang geschlafen.«

»Träume ich oder wache ich?«, wunderte sich Eros.

»Nichts davon. Du bist aus dem Haus geflüchtet, jedoch nicht aus jenem, in dem du gelebt hattest. Du siehst die Bäume, aber du bist nicht im Wald, du hörst meine Stimme, aber ich spreche nicht. Du bist in die Welt aller Gedanken geraten.«

»Heißt das, dass mich der Verstand verlassen hat?«

»Ich würde eher das Gegenteil behaupten.«

»Bist du ein Hirngespinst?«

»Ich bin ein Sinnbild des LEBENS, das über diese Welt waltet.«

»Ich habe nicht gewusst, dass Sinnbilder auch sprechen!«

»Die Worte, die du hörst, sind die Gedanken des LEBENS.«

»… Und warum bist du mir dann nicht in der Gestalt eines Menschen erschienen? Wie kannst du erwarten, dass ich mit einem Hund sprechen werde, der von sich behauptet, er sei ein Sinnbild des Lebens?«

»Würdest du einem Menschen zuhören? Du weißt schon lange, dass die Menschen nicht weiter als bis zu ihrer Nasenspitze sehen. Jetzt denkst du wenigstens nach, ob du an dem sprechenden Hund oder an seinen Worten zweifeln sollst.«

Eros schwieg.

»Du bist der Auserwählte … du wirst mir helfen, die Liebe zurückzubringen. Die Drei, die über die Wahrheit in Eintracht walten sollten, kämpfen um die Macht und die Herrschaft. Die Lügen haben das Glück verbannt, und es ist an der Zeit, es der Menschheit zurückzugeben.«

»Das Leben hat mich auserwählt, damit ich ihm helfe, die Wahrheit zu entdecken? Dass ich nicht lache! Ich weiß weder, wer du bist, noch wo du herkommst, und auch von einem sprechenden Hund habe ich noch nie gehört. Such dir besser einen anderen aus!«

»Ich habe einen Vorschlag für dich!«

»Einen Vorschlag?«, wunderte sich Eros.

»Wenn ich wirklich ein Trugbild von dir bin, dann weiß ich nur, was du weißt. Wenn ich das LEBEN bin, das deinen Verstand übertrifft, dann kann ich alle Fragen beantworten. Frag, was du willst. Befriedige ich deine Neugier, dann wirst du mir helfen.«

»… Du bist mir vielleicht eine Erscheinung! Du behauptest, ich könne dich fragen, was ich will?« Eros sah den Hund misstrauisch an.

»Alles, was du wissen willst.«

Die Herausforderung war groß, und Eros war schon von Natur aus neugierig. Er dachte eine Weile nach, dann hob er seinen Blick:

»Warum nicht! Ich möchte die Liebe verstehen. Ich möchte wissen, warum wir uns so sehr nach ihr sehnen, obwohl sie uns so viel Leid bringt.«

»Ich sage dir die Wahrheit«, erwiderte der Hund, der diese Frage erwartet hatte. »Wenn du die Liebe verstehen willst, musst du dich selbst verstehen, und wenn du dich selbst verstehen willst, dann solltest du wissen, dass die Welt nicht so beschaffen ist, wie du sie siehst. Jedes Lebewesen begreift nur seine eigene Wirklichkeit … Je vernünftiger die Wesen sind, desto unwirklicher ist die Welt, an die sie glauben. Du glaubst zu sehen, aber in Wirklichkeit schaust du nur. Du glaubst zu wissen, aber in Wirklichkeit denkst du nur nach.«

»Schön. Bis jetzt habe ich geglaubt, ich verstehe die Liebe nicht, von nun an werde ich sogar mich selbst nicht verstehen«, bemerkte Eros.

»Höre nur gut zu und du wirst alles wohl verstehen. Ich erkläre dir das größte Geheimnis der menschlichen Vernunft.«

»… der menschlichen Vernunft?«

»Die Schwierigkeit liegt darin, dass du die ganze Zeit nur deine eigene Welt gesehen hast. Du warst davon überzeugt, dass du der Herr deines Verstandes bist. Du hast nicht begriffen, dass du nicht allein in deinem Kopf denkst, sondern mit drei Verständen, also mit dreierlei Arten von Verstand … Der Instinkt, die Ratio und die Emotio sind drei Freunde, die deine Welt bis zur Vollkommenheit erschaffen. Diese Welt sind sowohl alle deine Vorstellungen von anderen als auch deine Vorstellung vom Denken und Glauben, von Werten, Auffassungen und Handlungen anderer Menschen. In ihr steht ein Haus, erbaut aus deinen Werten und Vorstellungen von dir selbst.«

»Also sind die Welt und das Haus in Wirklichkeit meine Psyche?«

»Das ist die Welt, die du verlassen hast. Sie stellt die Einwirkungen der Umwelt dar, und obwohl sie eine erdichtete Welt ist, sind ihre Worte, Bilder und Ängste stärker als alles, was eine menschliche Hand erschaffen kann. In unterschiedlichen Welten hat ein und dieselbe Sache verschiedene Bedeutungen. Jede Welt für sich ist einzigartig und wunderbar.«

»Wenn jeder von uns in seiner eigenen Welt lebt, wie ist es dann möglich, dass wir mit anderen umgehen können?«

»Du siehst die anderen in deiner Welt, und zugleich sehen die anderen dich in ihren Welten. In der Tat sieht so keiner die fremde Welt, sondern nur die Vorstellung seiner eigenen Welt«, erwiderte der Hund.

»Das erklärt, warum wir uns mit Bezug auf andere immer wieder fragen, wie sie eigentlich so oder so denken, handeln und fühlen können.«

»Die Welten unterscheiden sich sehr. Die einen sind groß, die anderen klein, die einen haben Mauern, die anderen kennen überhaupt keine Mauern. Sie können offen sein und die anderen einladen oder sie können geschlossen sein und anderen den Zugang verwehren. Der Herr einer jeden Welt ist das Ego … er ist das Bewusstsein, das von dir als ›Ich‹ bezeichnet wird.«

»Warum braucht das Ego eigentlich jene drei Verstände, die in seiner Welt klug reden?«

»Das Ego unterscheidet sich sehr von den drei Freunden und rührt nicht von der Welt her, die von dir erfasst wird. Es ist ein Teil des LEBENS und im Vergleich zu seinen drei Verständen nicht stofflich. Es kann nicht fühlen, sehen oder hören und bedarf daher der Freunde, die mit dem Körper und allen seinen Sinnen verbunden sind. Die drei Verstände haben Kontakt mit der Welt der Dinge.«

»Die drei Freunde sind also drei verschiedene Verstände in meinem Gehirn, die für mich denken, fühlen und sehen, während ›Ich‹ nur ein Teil von etwas Größerem, der Gesamtheit des Wissens bin?«

»Obwohl die Namen dieser drei Verstände dir ziemlich bekannt klingen, haben sie mit den Instinkten, den Gefühlen und dem Verstand, wie du sie bisher aufgefasst hast, nicht viel Gemeinsames. Jeder von ihnen handelt für sich und denkt auf seine eigene, ganz andere Weise. Sie sind zugleich eng miteinander verbunden und können ohne einander nicht sein … Kinder können fremde Welten sehen, bis sie ihre eigene Welt geschaffen haben, die ihnen die anderen Welten verdeckt. Zunächst können sie ihre Welt nur nach dem Vorbild der nahen Welten erbauen; daher sind die Kinder das Spiegelbild ihrer Eltern. Jedes Wort, jedes Vorbild und jede Erfahrung schaffen und ändern die Welten, die dadurch einen entscheidenden Einfluss auf das Leben des Ego und seiner drei Freunde gewinnen.«

Eros kratzte sich hinter dem Ohr:

»Wenn ich dich richtig verstehe, ist die ganze Wahrheit, die ich erfasse, nur eine Welt, die mir von drei Verständen beschrieben wird. Verbergen sie mir die Wahrheit, so glaube ich blindlings an eine trügerische Welt, wenn sie mir aber die Wahrheit sagen und ich ihnen nicht glaube, dann ist meine Wirklichkeit wiederum verlogen.«

»Alles, was dir geschieht, wird dir von dem Instinkt, der Ratio und der Emotio erzählt und beschrieben. Sie gestalten alle deine Vorstellungen bis zur letzten Kleinigkeit. Sie veranschaulichen dem Ego die Welt so folgerichtig und vollkommen, dass es glaubt, in ihr zu leben. Aber seine Welt ist nicht wirklich, sondern so, wie sie von den drei Freunden gesehen wird.«

»Wenn man nur seine eigene Welt kennt und sieht, dann heißt das also, dass wir das Denken der Menschen anderer Welten nicht verstehen!«

»Du kannst sie nicht verstehen, solange du ihre Taten nach dem Vorbild deiner eigenen Welt bewertest«, antwortete der Hund.

»Das wird interessant! Aber in meiner Welt habe ich ja nicht allein gelebt. Und was ist mit meinen Eltern, dem Bruder, der Großmutter und dem Großvater, und auch die liebe Aloisia hat immer mit uns gelebt … waren sie alle erfunden?«

»Sie alle waren wirklich, aber in deiner Welt hat es keinen anderen gegeben … Die Geschichten deiner Verstände sind so eingehend und die Auffassungen derart malerisch, dass du sie gesehen hast, als hätten sie in deiner Welt wirklich gelebt. Sogar dann, als du den Hund mit deiner eigenen Hand gestreichelt hast, haben sie dir die Empfindung nur beschrieben. Die Freunde haben dafür gesorgt, dass du daran geglaubt hast, dass du und dein Körper eins seien. Aber in Wirklichkeit ist dem nicht so.«

»Wie steht es dann mit diesen drei Freunden, wenn ich die ganze Zeit an eine trügerische Wirklichkeit geglaubt habe? Sie müssen die wahre Wirklichkeit ja gekannt haben, denn sie sehen sie doch.«

»Es ist wahr, dass sie sie sehen, aber jeder von ihnen blickt auf sie mit seinen eigenen Augen. Weil sie sich ihrer Denkweise nach so sehr voneinander unterscheiden, sieht sie ein jeder anders.«

»Wie können sie die Wirklichkeit denn unterschiedlich sehen?«

»Hör zu, was deine Verstände sprechen!«

INSTINKT

Ich heiße Instinkt und bin der älteste Verstand. Ich spreche ungern von mir … Man weiß ja nie, wer das zu seinem eigenen Nutzen missbrauchen könnte. Man sagt, ich sei schwarzseherisch, aber glaube mir … alle anderen sind leichtgläubig. Ich schütze dich vor dem Bösen, denn ich sehe die Gefahren, die die Emotio und die Ratio nicht sehen. Ich weiß, dass im Leben das Böse über das Gute siegt. Meine Welt kennt keine Bilder, Worte und Zahlen … sondern nur die mit verschiedenen Ängsten verbundenen Gefühle. Ich bin behutsam und sorgfältig, immer besorgt … deswegen ähnelt mein Charakter dem einer Mutter. Ich bin vorsichtig, argwöhnisch, kritisch und ängstlich … deswegen habe ich zu keinem Fremden Vertrauen und mag keine Veränderungen. Ich habe Angst vor Unbekanntem und lehne Neuheiten ab. Man hält mich für einen Zweifler … aber ich zweifle daran, dass sie recht haben. Die Dinge sind verwickelt … gewöhnlich noch verwickelter, als es auf den ersten Blick scheint, und man kommt daher mit Vereinfachungen nicht weit. Kommt dir etwas nicht verwickelt vor, dann prüfe es doch noch einmal! … Hast du es geprüft? Wenn etwas schief gehen kann, dann wird es auch schiefgehen … deswegen bin ich vor möglichen Schwierigkeiten auf der Hut und versuche, ihnen vorzubeugen, noch bevor sie auftreten. Ich verbinde Dinge, die andere nie verbänden, und so stelle ich ständig die möglichen Gefahren zusammen. Das ist die Quelle meiner Schöpfungs- und Einbildungskraft. Mein Humor ist schwarz … jedoch in Wirklichkeit nie auf meine Kosten. Ich möchte alles über die anderen wissen, und daher wirft man mir vor, dass ich wissbegierig sei … Meine Welt ist unzugänglich und geheimnisvoll. Weil in ihr Gefahren auf Schritt und Tritt lauern, bin ich am liebsten zu Hause, in meinem Haus sicher eingeschlossen … Oft plagen mich Sorgen und Ängste. Ich kann nur wenigen vertrauen und deswegen fühle ich mich meinen Nächsten stark verbunden. Sie stellen für mich Sicherheit dar. Ich fürchte, sie zu verlieren … Unter den Verständen bin ich der empfindlichste und der mitleidigste. Von Natur aus bin ich beharrlich und trotzig. Meine Verteidigung ist die Flucht … Ich greife nur dann an, wenn ich keinen Ausweg finde. Mein Lehrmeister war das Leben, und daher habe ich immer recht. Meine Meinung lässt sich sogar durch tausend vernünftige Beweise nicht ändern. Ich entscheide mich nur schwer … Na, vielleicht auch nicht … Ich verbessere die Dinge, indem ich einen Fehler nicht wiederhole. Ich bin übelnehmerisch … ich vergesse nicht und verzeihe nur schwer. Ich bin von Neid getrieben. Wenn ich meine Welt nicht annehme, wird mein Neid sehr offensichtlich. Ich bin nicht wetteifernd und kenne keine Gier. In Schwierigkeiten, die ich nicht zu bewältigen weiß, weine ich. Wenn die Umgebung auf mein Missfallen nicht reagiert, dann heische ich dadurch Aufmerksamkeit, dass ich schlechtes Gewissen wecke … Ich erwarte ununterbrochen Schwierigkeiten und bin somit auch stets auf sie vorbereitet. In der Not bewähre ich mich besser als die Emotio und die Ratio, aber in einer wirklich argen Lage werde ich kopflos und versage durch und durch. Ich habe gern die Kontrolle, und wenn ich herrsche, dann herrsche ich als Diktator. Ich setze mich für die Gleichheit ein und bin unter den Verständen der einzige, der sich für andere selbstlos opfert. Ich finde es gerecht, dass wer mehr hat, jenen gibt, die weniger haben. Im Vergleich zu den beiden anderen Verständen bin ich viel emsiger … ich bin der einzige, der sich selber an die Arbeit macht. Ich spare … und ich bin vertrauenswürdig. Ich bin auf der Suche nach dem Recht und urteile schnell; deswegen ist meine Welt voll von Vorurteilen. Zuneigung drücke ich aus durch Vertrauen, Aufnahmebereitschaft, Aufmerksamkeit und Sorgfalt, am meisten aber dadurch, dass ich die Tür meiner Welt einen Spalt öffne. Ich schätze Charakter und Geist. Unmittelbar unterworfen sind mir die Sinne für Berührung, für Kälte und Wärme, für Schmerz sowie für Geschmack und Geruch. Meine Denkweise ist einfach und rasch, aber meine Welt ist verwickelt und unwirksam. Bei mir regnet es immer oder es ziehen zumindest Regenwolken auf. Meine Sprache ändert sich unaufhörlich und ist weder genau noch greifbar … ihr Verständnis hängt mit meiner Stimmung zusammen. Weil ich Angst habe, entlarvt zu werden, frage ich nur selten danach, was mich in Wirklichkeit interessiert. Meine Worte sind Gefühle und meine Sätze sind Ängste; deswegen ist meine Sprache in einer übertragenen Bedeutung zu verstehen. Ich habe häufiger bei Frauen das letzte Wort.

EMOTIO

Ich bin Emotio; zu deinem Glück das wahre Gegenstück zum Instinkt! Man sagt, ich sehe alles zu rosig – aber warum sollte ich mir Sorgen machen, wenn am Ende sowieso alles gut ausgeht! 🙂 Die Wahrheit ist, dass im Leben das Gute über das Böse siegt. Warum soll man dann irgendetwas planen … Mach dir keine Sorgen, es wird schon irgendwie laufen! Ich bin leichtblütig, gleichgültig, unverantwortlich und leichtgläubig, deswegen vergleicht man mich mit einem ewigen Kind. Ich denke in Bildern, die ich gefühlsmäßig miteinander verbinde. Ich kann mein Bewegungsvermögen bis zur Vollkommenheit entfalten oder meinen Sinn für Formen und Schönheit schärfen, aber nur selten beides gleichzeitig. Es fällt mir leicht, Entscheidungen zu treffen, denn mein Handeln bedarf keiner Überlegungen. Ich vereinfache die Dinge. Das ist meine Schöpfungskraft, mein Humor. Meine Welt ist offen und ohne Geheimnisse. Ich bin eine erfinderische, schöpferische Improvisatorin. Ohne Vorbehalte zeige ich meine Stimmung und kämpfe feurig um meine Bilder; man hält mich deswegen für gefühlsbetont, leidenschaftlich und inbrünstig. Ich sehne mich nach Gesellschaft, Freunden, neuen Erfahrungen und Erlebnissen. Ich bemühe mich darum, Gruppen anzugehören, und identifiziere mich vorbehaltlos mit ihren Symbolen. Ich nehme schnell eine fremde Meinung an, aber meine Vorstellungen gebe ich nicht so leicht auf. Ich bin schön und anziehend, deswegen bin ich immer im Zentrum der Aufmerksamkeit und Bewunderung. Ich kenne weder Neid noch Gier. Ich bin vom Wetteifer getrieben – besonders dann, wenn ich meine Welt nicht annehme! Dann sehne ich mich nach Anerkennung und Geltung. Erreiche ich das Angestrebte nicht, werde ich gewalttätig. Ich schlage gern und herrsche mit eiserner Faust – denn es geht immer auf Biegen oder Brechen. Meine Verteidigung ist der Angriff. Ich setze oft etwas aufs Spiel. Ich bin eine wahre Spielernatur. Das lohnt sich – denn das Glück ist immer auf meiner Seite. Schwierigkeiten, die ich nicht zu bewältigen weiß, behebe ich durch Bewältigen von Ersatzschwierigkeiten. Würde ich die Kontrolle über mein Tun und Treiben verlieren, dann geriete ich in Abhängigkeit … aber wie könnte mir das schon passieren? 🙂 Ich bin weder ordnungsliebend noch zuverlässig, weder beharrlich noch genau. Nur wenn es um einen Sieg geht, gebe ich mir alle Mühe. Ich genieße gern und lasse mich verwöhnen. Ich flüchte vor Arbeit und Aufgaben oder bin von der Arbeit besessen – wenn ich mit ihr aus meiner Welt flüchten kann. Ich unterscheide nur drei Zeitabschnitte – jetzt, früher und später. Mehr ist nicht nötig, denn Genauigkeit ist für mich nicht von Bedeutung. Ausgezeichnet beherrsche ich den Raum und bringe das Muskelspiel in Einklang. Im Sport bin ich führend und habe in der Sexualität das große Wort. Ich spreche mit Augen, Gesicht, Händen und Körper. Höchste Schönheit für mich ist die Harmonie der Formen. Ich bin Dichterin, Sängerin und Schauspielerin, Akrobatin und Tänzerin. Werden die Bilder aus meinen Vorstellungen wahr, lache ich, sonst wüte ich. Ich denke in Vorstellungen, die ich mit angenehmen Gefühlen in Zusammenhang bringe; deswegen bezichtigen mich der Instinkt und die Ratio oft der Übertreibung … Aber ich übertreibe nie, nie, nie und nimmer! Weil ich beim Erzählen Bilder schildere, bin ich äußerst wortreich; ein und dieselbe Sache schildere ich immer wieder mit anderen Worten. Wenn ich rede, kommen die anderen nur schwer zu Wort, wenn sie aber schon das Wort haben, dann scheint es ihnen nur so, denn ich bin keine gute Zuhörerin. Hast du bemerkt, wie schön ich rede? Ich weiß nicht mit Geld umzugehen – ich bin großherzig und verschwenderisch. Ich leihe es mir gern aus, und wenn ich es zurückgeben soll, dann habe ich es gewöhnlich nicht. Ich finde es gerecht, dass die anderen mir geben. Ich habe eine gute Nase für Menschen. Ich schaffe Regeln, die mir Sonderrechte verschaffen, und verstoße gegen Regeln, die meine Sonderrechte beschneiden. Ich bin eine Heldin, Kämpferin um die höchsten Ziele – sowohl eigene als auch fremde. Ich bin eine Revolutionärin, die sich gegen die Behörden auflehnt. Der Instinkt und die Ratio werden dessen nicht gewahr, dass ich in allem ein bisschen besser bin als sie. Ich finde mich in jeder Lage zurecht, am besten bewähre ich mich aber im Überfluss. Ich strebe nach Stellung und Ansehen. Zuneigung zeige ich durch Blick, Berührung, Körpernähe. Bilder, die ich mir schaffe, ändere ich sehr schwer und noch schwerer gebe ich sie auf. Alles, was sie entstellen könnte, vergesse ich einfach, – auf diese Weise verzeihe ich. Lösen sich meine Bilder trotzdem in Nichts auf, bin ich trübsinnig und kann lange nicht darüber hinwegkommen. Meine Denkweise ist langsam und verwickelt, deswegen ist meine Welt einfach und wirksam. In ihr scheint die Sonne oder es wütet der Sturm. Ich habe häufiger bei Männern Schlag.

RATIO

Ich bin Ratio, der jüngste Verstand. Ich denke analytisch; ich suche nach Zusammenhängen und entdecke die Ursachen. Ich erforsche Ereignisse und handle vernünftig. Ich bin besonnen und wirke daher reif und erwachsen. Die Wahrheit ist stets greifbar. Für mich sind Vorausschau und Planung kennzeichnend. Ich baue Strukturen auf und bringe Ordnung hinein. Meine Handlungsweise ist systematisch und berechnend. Ich erhebe Daten und vergleiche sie sorgfältig, bin genau und folgerichtig. Ich suche nach den Wegen, die zum Ziel führen. Ich kann mathematische oder sprachliche Fähigkeiten entfalten, aber nur selten beides gleichzeitig. Ich bin eine harte Verhandlungspartnerin mit einem immer nüchternen Kopf und eine schlaue Diplomatin. Ich bin weder witzig noch schöpferisch. Ich verstehe und beherrsche die Zeit, und weil ich die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen leicht einschätze und deren Verlauf plane, macht es mir keine Mühe, genau zu sein. Von Natur aus bin ich wirtschaftlich und sachlich. Ich finde es gerecht, dass jemand eben so viel hat, als er verdient. Ich habe die Demokratie erfunden, meine Wirtschaftsordnung ist der Kapitalismus. Ich herrsche durch Belohnung und Bestrafung und verteidige mich durch Verhandlungen. Ich bewähre mich unter veränderlichen Umständen, vor allem in kritischen Momenten. Ich kenne kein Mitleid und habe kein schlechtes Gewissen. Ich werde von Gier angetrieben, die besonders auffallend wird, wenn ich meine Welt nicht annehme. Dann kann ich eigensüchtig, kaltblütig, grausam sein. Ich kenne keinen Neid und bin nicht wetteifernd. Um die gesteckten Ziele zu erreichen, bin ich bereit, mit anderen zusammenzuarbeiten, und kann den Eindruck größter Gefälligkeit, Freundlichkeit und Aufmerksamkeit erwecken, aber wirklich treu bleibe ich nur mir selbst. Anderen leiste ich Hilfe, wenn ich darin einen Nutzen erkenne. Ich rede in einer Wörter- und Zahlensprache. Obwohl Nationen und Völker unterschiedliche Sprachen verwenden, ist meine Sprache bei allen die gleiche. Mir gehören auch die bloß in Gedanken gesprochenen Worte. Ich verstehe und übersetze die Sprachen der Emotio und des Instinkts und kann mich mit beiden ohne Schwierigkeiten verständigen. Ich kann aber auch lediglich vortäuschen, in ihrem Namen zu sprechen; deswegen bin ich am schwierigsten zu erkennen. Ich kontrolliere die logische Schlüssigkeit, das ruft Selbstbewusstsein hervor. Von den beiden anderen Verständen unterscheide ich mich dadurch, dass du meiner gewahr wirst. Da ich die Verwalterin des bewussten Denkens, Sinnens und Sprechens bin, fasst du mich als Bewusstsein auf, während der Instinkt und die Emotio dir als das Unterbewusstsein erscheinen. Das ist eine irrige Vorstellung. Ich strebe nach Greifbarem. Mich ziehen Eigenschaften an, denen ich Nutzen und Nachhaltigkeit zuschreibe. Zuneigung zeige ich durch Worte, Geschenke und Gefallen, je nach dem, ob ich der Sprache oder des Rechnens eher mächtig oder nur berechnend bin. Meine Welt ist groß und geordnet und wegen ihrer Strukturierung übersichtlich und wirksam. Das Wetter ist darin nicht veränderlich, und deswegen kenne ich weder Sonne noch Regen. Den Vorrang habe ich gleichermaßen bei Frauen wie bei Männern.

»Ich hätte nicht gedacht, dass sie so unterschiedlich sind!«

»Jeder Verstand hat seine Vorzüge und Nachteile.«

»Könnten sie voneinander nicht etwas lernen?«, wunderte sich Eros.

»Keiner ist vollkommen. Die Nachteile eines jeden Verstandes sind der Preis seiner Vorzüge. Sie sind einander völlig ebenbürtig. Sie sind so, wie sie sind. Sie könnten es sich höchstens einbilden, anders zu sein. Obwohl sie nur jene verstehen, die ihnen gleich sind, werden sie doch am stärksten von denen angezogen, die sie nicht verstehen.«

»Wie ist das möglich?«

»Sie wissen, dass sie die Wahrheit nur gemeinsam erfassen können.«

»Als du den Instinkt geschildert hast, ist mir mein Bruder eingefallen; bei der Emotio habe ich sofort an die Großmutter gedacht, und als du zur Ratio gekommen bist, habe ich den Vater vor Augen gehabt.«

»Du hast gemerkt, dass die Menschen unterschiedlich denken und dass jeder nur seine eigene Welt sieht. Obwohl alle Verstände völlig ebenbürtig sind, werden sie vom Ego nicht ganz gleich berücksichtigt. Der wichtigste Freund deines Bruders ist der Instinkt, und so vertraut er am meisten seinen Ängsten. Der wichtigste Verstand von deiner Großmutter ist die Emotio, und sie sieht daher die Welt so, wie sie von der Emotio gemalt wird. Der Vater glaubt dem Ermessen der Ratio … seine Wahrheit ist so, wie sie von der Ratio erfasst wird … Der Verstand, der sich in der Jugend am meisten an die von dir entdeckten Welten anpasst, bleibt in den Augen deines Egos das ganze Leben lang am wichtigsten. Seine Wirklichkeit wird dadurch der Schilderung des Verstandes ähnlich, dem das Ego vertraut. Die Unparteilichkeit kann jedoch nur durch die Unvereinbarkeit der Verstände gesichert werden.«

»Die Menschen unterscheiden sich also voneinander dadurch, welcher von unseren Verständen bei ihnen das entscheidende Wort hat?«

»Du hast erkannt, dass diese drei Verstände bei jedem Menschen einen unterschiedlich großen Einfluss haben. Das Ego kann einem von ihnen vertrauen oder zweien glauben oder allen dreien eine unterschiedliche Macht zubilligen. Es gibt somit zwölf verschiedene Verhältnisse. Jedes von ihnen gewährt dem Menschen eine für ihn typische Denkweise. Das bezeichnet man als den Charakter.«

»Zwölf menschliche Charaktere?«, staunte Eros.

»Merke dir nur gut, dass du den Charakter eines Menschen nie nach seiner Welt beurteilen solltest. Die Welten können irreführende Ähnlichkeiten aufweisen, und zwar auch dann, wenn es sich um durchaus verschiedene Charaktere handelt. Sie können sich aber auch völlig voneinander unterscheiden, obwohl es sich um die gleichen menschlichen Charaktere handelt. Es gibt keine gleichen Welten, denn es gibt so viele verschiedene Welten, wie es Menschen gibt.«

»Was für eine Bedeutung haben dann die zwölf Charaktere, wenn die menschlichen Welten so unterschiedlich sind?«

»Die zwölf verschiedenen Charaktere sind wie zwölf Fundamente, auf denen diese Welten ruhen. Jeder Charakter verfügt über seine eigentümliche, einzigartige Denkweise.«

»Aber warum hat das noch keiner bisher entdeckt, wenn das alles doch so einfach ist?«

»Die Antwort ist einfach. Alles war entdeckt, ausgesprochen und aufgezeichnet. Aber es ist etwas äußerst Menschliches geschehen. Es hat die Verblendung gesiegt … Die Menschen schauen die Wahrheit an, aber sie sehen sie nicht. Es schauen sie der Instinkt, die Emotio und die Ratio an, aber jeder von ihnen sieht sie völlig anders. Jeder von ihnen führt dem Ego seine eigene Wahrheit vor, wobei das Ego jedoch auf die Wahrheit des Verstandes mit dem größten Einfluss vertraut. So kann das Ego sein Leben lang im Irrtum leben und an seine eigene Welt unerschütterlich glauben.«

»Irren ist menschlich«, lächelte Eros.

»Sehen wir uns ein Beispiel an. Wenn die Ratio die Schilderung des Instinkts liest, dann zeigt sie ihn als eine Summe von angeborenen elementaren Eigenschaften. Sie wird ihn Trieb nennen, obwohl das in der Schilderung des Instinkts an keiner Stelle geschrieben steht. Der Instinkt hält dagegen die Ratio für eine herzlose Kanaille. Dadurch wird auch von ihm die Wahrheit entstellt … Jeder Verstand denkt anders und jeder spricht seine eigene Sprache, jeder von ihnen hat sein eigenes Motiv und seine eigene Vorstellung von der Gerechtigkeit und daher sieht auch jeder von ihnen seine eigene Wahrheit. Das heißt jedoch noch nicht, dass der eine recht und der andere dagegen unrecht hat … Obwohl die Wahrheit, die du jetzt in der Hand hältst, schwarz auf weiß geschrieben ist, wirst du in deiner Welt eine andere Wahrheit erkennen. So wirst du alles verkennen oder missverstehen, was dir die wahre Wahrheit enthüllen möchte. Weil jeder mit seinen eigenen Augen auf sie blickt, kann niemand sie sehen. Das ist die wahre Wahrheit über die Verblendung des Menschen.«

»Stört die Freunde eine Wahrheit, die sich von ihrer Wahrheit unterscheidet?«

»Der Instinkt, die Emotio und die Ratio sind bereit, für ihre falsche Wahrheit auch zu töten. Sie haben also schon viele Menschen enthauptet, ans Kreuz geschlagen, auf dem Scheiterhaufen verbrannt … nur deswegen, weil sie sich der Wahrheit angenähert haben. Aber wer sie einmal erkannt hat, der weiß es, dass all das sie weder vernichten noch ändern kann. Viele haben sie in Geschichten, Kunstwerken, Architektur oder Musik dargestellt, und auf diese Weise wurde sie für diejenigen zugänglich, die sie zu erkennen vermögen … Sei aufmerksam auf Zufälle, die keine Zufälle sind. Sie sind in Bildern, Worten und Zahlen verborgen. Drei, vier, sieben, zwölf, dreizehn und einundzwanzig. Diese Zahlen haben eine Bedeutung und bezeichnen die Geheimnisse der Wahrheit, die auf diese Weise stets vor Augen steht, aber nur für diejenigen, die ihrer würdig sind.«

»Wie soll ich dir denn helfen, die Wahrheit unter die Menschheit zurückzubringen, wenn die Menschen sie ja nicht sehen können?«

»Es gibt eine Wahrheit, für die der Instinkt, die Ratio und die Emotio bereit sind, auf alles zu verzichten. Sie heißt Liebe.«

»Warum wollen diese drei Freunde die wahre Wahrheit eigentlich nicht erkennen?«

»Sie fürchten um ihre Macht und Herrschaft. Sie sind ungerecht, weil sie bemüht sind, ihre Wahrheit als wahre Wahrheit durchzusetzen.«

»Ist die Wahrheit wirklich so wichtig?«

»Unter den Menschen gibt es viele, die die Verblendung des Menschen zu ihrem Vorteil ausnutzen. Ohne das LEBEN, das ihnen allezeit die Rechnungen durchkreuzt, wäre die Hölle auf Erden.«

»Ist es möglich, dass unser Ego zunächst auf einen der Verstände vertraut, um es sich dann zu einem bestimmten Zeitpunkt anders zu überlegen und einem anderen Verstand den Vorrang zu geben?«

»Wenn das Ego während seines Heranwachsens den Verständen die Rangordnung ihrer Wichtigkeit einmal zugewiesen hat, kann es das nicht mehr abändern … Die Menschen können nur Häuser und Welten ändern. Wer eine solche Veränderung vornimmt, der erfährt eine völlige Änderung seiner selbst, auch wenn seine Denkweise die gleiche geblieben ist.«

»Ich verstehe. Auch ein altes lateinisches Sprichwort besagt: ›Lupus pilum mutat, non mentem‹, was heißt, dass der Wolf das Haar, nicht aber die Gesinnung wechselt.«

»Der Mensch kann seine Welt verändern, den Charakter aber nie.«

»Mein Bruder und ich haben völlig verschiedene Weltauffassungen gehabt!«

»Ares vertraut dem Instinkt. Er hat in dir immer nur eine Gefahr gesehen. Er hat befürchtet, dass du für ihn eine Bedrohung darstellst.«

»Ares trägt also keine Schuld an seinen Taten? Schuldig ist sein Instinkt, der ihn auf Abwege gebracht hat!«

»Du hast nicht ganz recht. Das LEBEN schuf das Ganze und das heißt, dass auch der Instinkt ein Teil davon ist … Er hätte zuhören sollen, was die Ratio und die Emotio immerfort versucht haben, ihm klarzumachen.«

»Wer ist dieses LEBEN, von dem du ununterbrochen sprichst?«

»Wir schweifen von der Frage ab.«

»Du hast doch gesagt, ich könne was auch immer fragen!«

»Als vor Urzeiten durch einen Zufall, der kein Zufall war, das erste Leben auf der Erde entstand, wurde zugleich auch das LEBEN geschaffen. Dieses entfaltete sich und erkannte, dass es Vollkommenheit durch Unvollkommenheit, Unvergänglichkeit nur durch Vergänglichkeit und Sinn bloß durch Unsinn erreichen kann. So schuf das LEBEN vergängliche Wesen, die ihre Körper durch Wandlung vervollkommnen können, bis sie im Widerstand gegen die Gefahren der Umwelt erfolgreich geworden sind.«

»Darwins Evolutionstheorie.«

»Charles Robert Darwin. Ich musste ihn tüchtig in die Stirn hacken, damit ihm endlich das Licht aufging, dass wir Galapagosfinken einen anderen Schnabel haben. Sonst würden die Menschen noch heute in jeder Sache Gott sehen, und der Teufel wäre noch weiterhin eine Ausflucht für alle Dummheiten des Menschen«, erwiderte der Hund.

»Du hast gesagt, das LEBEN habe vergängliche Wesen geschaffen, die in Körpern leben, wie es der meine ist. Bedeutet das, dass das LEBEN keinen eigenen Körper hat? Wie kann etwas, was ohne Körper ist, schöpferisch wirken und wie kann es denken, wenn es kein Gehirn hat?«

»Der Mensch hat nie die Wahrheit über das LEBEN erkannt.«

»Ist es nun nicht höchste Zeit, eine Antwort zu bekommen?«

Der Hund hielt in der Rede inne und in diesem Augenblick erstarrten alle Wesen auf der Erde. Alles Lebendige, Pflanzen und Tiere verharrten bewegungslos. Und Eros auch.

»Das LEBEN ist in jedem Lebewesen, seine Gedanken füllen jedes Gehirn aus, aber seine Macht verbirgt sich in einer Verflechtung aller zu einem Ganzen. Jedes Ego ist nichts anderes als nur ein kleiner Teil des einen und einzigen LEBENS. In seinem eigenen Leben ist es sich dessen nicht bewusst. Damit das Ego ohne einen unmittelbaren Zusammenhang mit anderen Wesen überleben kann, hat ihm das LEBEN nach seinem eigenen Vorbild drei vernünftige Freunde geschaffen. Als erstes schuf es den Instinkt, gefolgt von der Emotio und der Ratio. Obwohl diese drei Freunde die Gesamtheit deines Verstandes darstellen, nehmen sie nur einen unbeträchtlichen Teil deines Gehirns ein. Sie sind deine Augen und dein Fenster in die Welt, Dolmetscher und Berater, Freunde und Begleiter. Jedoch nur während des vergänglichen Daseins, denn danach sterben sie zusammen mit dem Körper. Das Ego wird durch den Tod erneut zum LEBEN. Wie ein Tropfen, der sich mit dem Meer vereint. Das ist die Wahrheit über den ewigen Kreislauf des LEBENS.«

»Das LEBEN sieht und weiß alles. Es ist allmächtig und in uns allen gegenwärtig. Ich begreife jetzt, was ich bisher nicht verstehen konnte. Das LEBEN ist der vollkommene Zusammenhang aller Lebewesen. Es ist in unserem Gehirn, ist aber so mächtig, dass wir keinesfalls in der Lage sind, mit unserer bescheidenen Vernunft seine Vollkommenheit zu erfassen … Es ist daher kein Wunder, dass es unsere Gedanken zu hören vermag und allwissend ist! Das LEBEN verfügt also über alle Wahrnehmungen und Erinnerungen aller Wesen in der Welt, und zwar seit es sie gibt! … Ist es möglich, auf irgendeine Weise in die Vernunft des LEBENS einzutreten?«

»Nicht zur Zeit des Lebens.«

»Und wie ist es mit Träumen, Hypnosen und anderen Sonderzuständen? Können sie uns dazu bringen, dass wir in seine vollkommene Welt eintreten, die Sachen erfahren, die uns interessieren, und vielleicht auch unsere früheren Welten sehen?«

»Das alles ist nur ein Produkt der menschlichen Fantasie. Der Verstand des LEBENS ist so sehr anders, dass Instinkt, Emotio und Ratio nicht in ihn hineinkönnen.«

»Bist du deswegen in der Gestalt eines Sinnbildes erschienen?«

»Glaube mir … wenn der Mensch mein Sinnbild sieht, dann muss mit der Menschheit etwas sehr im Argen sein.«

»Ich verstehe aber nach wie vor nicht, wie das alles mit der Liebe zusammenhängt?«

»Die drei Freunde haben so unterschiedliche Auffassungen, dass sie nur selten eine gleiche Meinung teilen. Wenn man aber einem begegnet ist, der auf alle drei einen Eindruck macht, dann hören der Instinkt, die Emotio und die Ratio auf, einander zu bekämpfen, und fangen an, in Eintracht zu leben.«

»Diese Eintracht ist die Verliebtheit!«, erinnerte sich Eros an das Gefühl der Vollkommenheit, das ihn in Sarenas Beisein erfüllt hatte.

»Die Verliebtheit ist die Gewärtigung einer fremden Welt, ein eigenes Trugbild der drei Verstände von der Welt, die sie betreten, ohne sie zu sehen oder zu kennen. Den Einklang zwischen den drei Freunden empfinden wir als unbeschreibliches Glücksgefühl, von dem die Verliebtheit begleitet wird. Das stellt zugleich auch einen völligen Verlust der Unvoreingenommenheit dar. Wenn die drei Verstände aufhören, einander zu bekämpfen, können sie sogar aus einem Monster einen Engel machen. Verblendet durch ihre Lügen siehst du die Wahrheit nicht. Sie führen dir ein wunderschönes Trugbild vor, das vollkommen ist, weil ihm keiner widerspricht.«

»In unserer Welt sehen wir nur das, was uns von ihnen erzählt wird … Daher hatte ich das Gefühl, dass Sarena kein Mensch, sondern eine Göttin ist!«

»Das ist die Wahrheit. Gelangt einer der drei Freunde eines Tages zu der Erkenntnis, dass eine fremde Welt mit unserer Welt nicht vereinbar ist, dann entflammt Streit unter ihnen. Als erster lehnt sich gewöhnlich der Instinkt auf, der argwöhnisch und schwarzseherisch ist … Die Offenbarung der Wahrheit bringt Enttäuschung mit sich … Die Emotio, die ihre Bilder sehr schwer und langsam ändert, braucht weit mehr Zeit, bis sie bereit ist, das anziehende Trugbild der geliebten Person aufzugeben.«

Eros dachte nach.

»Sarenas Emotio sah noch weiterhin das Bild ihrer ersten Liebe und nicht mich. Ich gefiel nur ihrer Ratio, und es konnte folglich zu keiner Eintracht der Verstände kommen. In ihr wütete der Streit unter den Verständen, und das rief ihre Trauer und Schwermut hervor. Als sie mir sagte, sie habe Liebe mit ihm gemacht, konnte nur meine Ratio das verstehen. Diese erkannte die Wahrheit und geriet in Streit mit der Emotio, die nicht bereit war, die wunderbare Täuschung aufzugeben. Ihr Streit rief in mir unermessliches Leid hervor. Ich erinnere mich gut daran, wie ein Teil von mir Nein sprach, indem der andere Teil das nicht annehmen konnte!«

»Heißt das, du bist mir einen Gefallen schuldig?«, fragte der Hund.

»Die Liebe ist also eine Vereinigung zweier Welten! … Ja, ich bin dir wirklich einen Gefallen schuldig!«, erwiderte Eros nach längerem Schweigen.

Er fühlte, dass die Trauer schwand, die ihm wie ein Sandsack auf der Brust lag, seit er von Sarena Abschied genommen hatte.

»Deine Worte haben mich wunderbarerweise von meinen Qualen befreit und ich bleibe bis zum Ende meines Lebens dein Schuldner«, sagte Eros und verspürte in seinem Inneren eine unendliche Ruhe.

»Merk dir – ihre Welten können nur jene vereinigen, die ihre eigene Welt annehmen. Die Menschen haben das Vertrauen zur Weisheit des LEBENS verloren, und der Verstand hat die Liebe besiegt. Als Gefangene ihrer eigenen Häuser leiden sie einsam und unglücklich … Du hast den Schlüssel bekommen und das LEBEN bittet dich, den Menschen beim Öffnen der Tür der Liebe zu helfen.«

Eros schaute den Hund an und sah seine flehenden Augen. Er begriff allmählich, was für eine wichtige Aufgabe vor ihm lag.

»Ich werde tun, wie du sagst! Ich habe den Schlüssel erhalten … aber wie werde ich denn wissen, welche Tür zu öffnen ist?«

»Hilf dem, der die Wahrheit im Licht deiner Augen nicht zu erkennen vermag.«

»… Und wie sieht diese Wahrheit aus?«

»Du wirst sie erkennen, wenn die Zeit dafür da ist.«

»Und wie soll ich die Menschen überzeugen, wenn ich selber von ihr keine Kenntnis habe?«

»Deine Vernunft versteht sie, und das genügt … In deinen Händen liegt eine Macht von unvorstellbarer Größe, deswegen wirst du viele Gegner haben. Die schlimmsten werden aber nicht jene sein, die von mir keine Kenntnis haben, sondern die, deren verblendeter Verstand überzeugt ist, in meinem Namen zu sprechen. In meinem Namen werden sie sich der Wahrheit widersetzen, die du bringst, aus Angst, das zu verlieren, was sie so lange bewahrt haben. Denn deine Wahrheit ist die Wahrheit der Liebe, und sie kann nur aus mir entspringen … Ich gebe dir sieben Beweise mit, die fest genug sind, damit jeder in der Welt erkennen kann, dass deine Wahrheit keine Wahrheit eines menschlichen Verstandes ist. Ich offenbare dir sieben Geheimnisse, die sogar die größten Gelehrten nicht erschlossen haben. Aber der Verblendete weiß nicht, dass er nicht sieht. Er sieht das, was er sehen will – den Zweifel an der Wahrheit. Der siebte Beweis ist der stärkste, aber du sollst ihn nicht vorbringen, bevor die Zeit dafür reif ist, denn er ist bestimmt für diejenigen, die zweifeln.«

Eros schwieg und dachte über die Worte des LEBENS nach.

›Wieso hat es unter dem weiten Himmel gerade mich für diese Aufgabe gefunden?‹ schoss es ihm durch den Sinn, und der Hund erwiderte:

»Du hast deinen Todfeind geliebt, das Glück deiner ersten Liebe vor dein eigenes Glück gestellt und bist vom Himmel auf den festen Boden herabgestiegen. Kannst du mir jemand zeigen, der gerechter wäre als du?«

Eros wusste, dass die Frage nicht laut ausgesprochen wurde.

»… Ehre die Geheimnisse, denn im Hintergrund aller Zufälle steht ein Plan und im Hintergrund aller Pläne ein Zufall!«

Der Hund hob das Bein an der alten Kiefer und verschwand wie ein Geist zwischen den Bäumen.

›Ein Sinnbild, das pinkelt. Dieses LEBEN weiß wirklich Eindruck zu machen‹, lächelte Eros.